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Der feine Dialog im Schritt

Praxis-Tipps für mehr „Durchlässigkeit“.



Uelzener Sicherheits-Tipp | Blog-Beitrag von Peter Kreinberg

Positiv beeinflussen: unruhige oder triebige Pferde



„Ein solide ausgebildetes Reitpferd ist in unserer Ausbildungs-Methode gleichzeitig auch ein sicher zu reitendes Pferd“, erklärt Peter Kreinberg, „denn es lernt Schritt für Schritt, die „Führungsrolle“ seiner Reiterin oder seines Reiters zu verstehen und zu akzeptieren.


Aus dem Verständnis entwickeln sich mentale Gelassenheit, willige Mitarbeitsbereitschaft und geordnete, kontrollierte und gesunde Bewegungen, wenn es geritten wird“. Welche wichtige Rolle für Sicherheit und Gesundheit dabei die oft vernachlässigte Gangart Schritt spielen kann und wie ihr triebige Pferde fleißig bekommt und „zackelnde“ im Schritt regelmäßiger, lest ihr in einer umfassenden Anleitung.

Die wichtigste Gangart – der Schritt


Taktrein, weit ausgreifend mit langen aus der Schulter herauskommenden Bewegungen und deutlich übertretenden Hinterbeinen in der Spur – so wird häufig ein guter Schritt beschrieben und in Dressurprüfungen gefordert. Doch nicht jedes Pferd bietet seinem Reiter*in solch einen Schritt an. Je nach Körperbau, mentaler Verfassung und Gewohnheit gibt es deutliche Abweichungen vom Ideal.

Manche Pferde erscheinen träge, schleppend und ‚triebig‘, andere sind eilig, ungeduldig oder nervös und ‚zackeln‘ häufig an oder gehen gegen die Hand. Manche sind dabei steif und gehen schief und es gibt die, die zwar am hingegebenen Zügel einen akzeptablen Schritt zeigen, jedoch bei Zügelkontakt sofort kürzertreten und nicht mehr taktrein gehen. All diese Tendenzen werden sich in den anderen Gangarten wiederfinden. Pferde, die solche Verhaltensweisen zeigen, gehen nach deutschem Dressur-Verständnis nicht korrekt.


Doch auch für Freizeitreiterinnen und -reitern, die niemals an einer Dressurprüfung teilnehmen wollen, sind diese Gang- und Verhaltensmuster nicht wünschenswert. Schließlich machen sie ein harmonisches Miteinander mit dem Freizeitpartner Pferd schwierig oder sogar unmöglich und führen zu Frustration bei Zwei- und Vierbeiner. Auch sind negative körperliche Auswirkungen wie Muskelverspannungen mit zum Teil langfristigen Schädigungen bei beiden nicht auszuschließen.

Und natürlich erhöht sich das Unfallrisiko für Pferd und Reiter beträchtlich, den verspannte, eilig gehenden oder widersetzliche Pferde sind sehr schnell auch schreckhaft und dann zeitweilig unkontrollierbar.

Für Peter Kreinberg ist der Schritt die wichtigste Gangart. Aus Ausbildersicht ist er einerseits ein Prüfstein für Gangqualität, Rittigkeit und Solidität der Ausbildung. Andererseits ist er die Gangart des Lernens für Pferd und Reiter*in. Hier können auch weniger routinierte Reiter*innen ihre Reittechnik, ihr Gefühl und die Kontrolle zumindest über Richtung und Tempo des Pferdes relativ unverspannt und vor allem auch sicher verbessern.

Jungen oder gerittenen Pferden mit Fehlverhaltensweisen können die Grundlagen zu Verständnis, Verständigung, Akzeptanz der Hilfen, mentale Gelassenheit und Bereitschaft zur körperlichen Verfügbarkeit im Schritt, häufig auch als „Durchlässigkeit“ bezeichnet, risikofrei und relativ einfach vermittelt werden.


Reiterinnen und Reitern fällt es in dieser Gangart des geringen Tempos und der reduzierten Körperbewegungen viel leichter, unverkrampft und locker zu bleiben und ihr Körpergefühl zu schulen.

Im Schritt liegt die Wahrheit

„In unseren Seminaren wird sehr viel Schritt geritten, denn in dieser langsamen und schwunglosen Gangart haben Reiter*innen und Pferde Zeit, sich möglichst störungsfrei zu verständigen. Missverständnisse und Fehlreaktion bei beiden wirken sich nicht zu stark aus. Der Stressfaktor bleibt gering und Ursachen und Wirkung können bewusst gemacht und verarbeitet werden. Die Balance ist nicht so leicht gestört und die Reiterinnen und Reiter können sich voll auf Gefühl und Timing der Hilfengebung konzentrieren.


Dabei zeigen sich zu Beginn natürlich auch deutlich die Schwachstellen. Ich unterscheide dabei zunächst zwei wesentliche Problemkreise:

  • entweder zeigt sich das Pferd im Schritt zu eilig, hektisch und verspannt oder es

  • erscheint träge, geht schleppend und widerwillig.

Oft haben Reiterinnen oder Reiter schon vielfältige Versuche unternommen, diesen misslichen Zustand zu verbessern.

In solchen Fällen erkläre ich meinen Teilnehmerinnen und Teilnehmern, dass nicht das Pferd falsch geht. Vielmehr ist es dem Reiter*in bis dahin noch nicht gelungen, sich seinem Pferd gegenüber verständlich zu machen, dessen Vertrauen zu gewinnen oder es ausreichend zu motivieren.

Eine wesentliche Voraussetzung für ein harmonisches und sicheres Miteinander, die Losgelassenheit, ist noch nicht gegeben. Mentale und körperliche Verspannungen sind die Folge dieser Missverständnisse und führen zu Bewegungsstörungen.


Probleme methodisch auflösen: das Drei-Stufen-Programm

Um eine nachhaltige Verbesserung zu erreichen, empfehle ich eine methodische Vorgehensweise.

Dabei hat sich ein Drei-Stufen-Programm bewährt. Die Kurzformel könnte lauten:

  • zuerst das Bewusstsein ordnen und Regeln festlegen,

  • dann passiv reiten, ohne zu stören, zu behindern oder zu irritieren,

  • danach erst angemessen und gefühlvoll mit aktiver Hilfengebung schulend reiten.

In der ersten Phase liegt der Schwerpunkt entweder auf der Verbesserung von Zwanglosigkeit, Vertrauen und Regelmäßigkeit des Pferdes oder aber seiner Erziehung zum Fleiß.


In der zweiten Phase liegt das Augenmerk bei Reiterinnen und Reitern auf deren Losgelassenheit, der Entwicklung des Körperbewusstseins und auf störungsfreierem ‚passiven Reiten‘ im ‚Wir-Gefühl‘.


Erst wenn sich durch die Vorübungen beim Pferd Verständnis, innere Ruhe und Fleiß einstellen und bei den Reiterinnen und Reitern Sitz, Schenkellage und Handeinwirkung besser koordiniert und weitestgehend störungsfrei geworden sind, hat das Pferd eine Chance, aktive reiterliche Einwirkungen als ‚Hilfen‘ zum besseren Gehen zu unterscheiden, zu verstehen und anzunehmen.


Dies ist dann Thema der dritten Stufe. In ihr steht die Anleitung zu einer differenzierten, aktiven Hilfengebung dann endlich im Vordergrund. Nur durch richtig wirkende (an)treibende Einwirkungen und solche Hilfen, die dem Pferd in Haltung und Linienführung einen Rahmen geben, bekommt das Reiten eine gymnastizierende Wirkung und trägt zur Verbesserung der Qualität des Ganges und der Haltung bei.“

 

In diesem Artikel geben wir Tipps zur ersten Stufe des Schritt-Programms.

 

Praxis-Tipp: so werden verspannte Pferde gelassener im Schritt

Verspannte Pferde zeigen im Schritt eine hohe Schrittfrequenz und wenig Raumgriff, es sind Taktfehler erkennbar oder sie ‚zackeln‘ ständig an. Ihre Reiter*innen argumentieren, dass Tempo und Gänge trotzt angenommener Zügel nicht zu regulieren sind und das Pferd ständig ‚gegen die Hand‘ geht. Je mehr man nun versucht, mit den Zügeln ‚bremsen‘ einzuwirken, umso mehr geht das Pferd gegen die Hand und verspannt sich.


Es entsteht ein negativer Wirkungskreis: Reiterinnen und Reiter möchten eigentlich beruhigend wirken, doch tatsächlich setzen sie das Pferd zwischen störendem Gebisseinwirkung, verspanntem Sitz, klemmenden Schenkeln und mentaler Anspannung immer mehr unter Druck und bringen es auch durch Lehnen oft noch aus der Balance. Dieser Situation versucht das Pferd dann durch eilen nach vorn zu entfliehen.


Oft haben sich diese Reaktionen auf beiden Seiten zu einem Verhaltensmuster entwickelt, bei dem das Pferd schon bei der leisesten Kontaktaufnahme ausweicht, beschleunigt oder hektisch wird und Reitrinnen und Reiter sich verkrampfen. Obwohl die Reiter*innen immer vorsichtiger werden, wird die Überreaktion des Pferdes immer drastischer. Bei manchen Pferden verstärkt die negative Erfahrung des wiederholten Missbehagens in der Reitbahn oder im Außenbereich den Drang, zurück in die Geborgenheit der Herde oder des Stalles zu drängen. Solche instinktiven Verhaltensmuster laufen automatisch ab, die Aufmerksamkeit gegenüber den Reitern*innen und ihren Hilfen ist dann komplett unterbrochen, deren Einwirkungen lösen sofort die reflexiven Gegenreaktionen aus.


Die Reiter*innen empfinden dieses Verhalten dann als Widersetzlichkeit, während das Pferd sich tatsächlich behindert oder bedroht fühlt. Die Frustration auf beiden Seiten kann sich mit der Zeit steigern und der Stresspegel wird dadurch ständig höher, bis es zu gefährlichen Überreaktionen kommt.


Um solche gefestigten Verhaltensmuster zu unterbrechen, gilt es zunächst einen Ansatz zu finden, die Aufmerksamkeit und das Bewusstsein beider auf eine sinngebende Aufgabe zu lenken. Ich verwende dazu Pylonen und Hindernisstangen am Boden zur räumlichen und optischen Orientierung und um beiden ein klares Ziel zu geben.

  • Auf dem Hufschlag eines Zirkels lege ich an zwei gegenüberliegenden Punkten, z.B. an den seitlichen Wechselpunkten jeweils die zwei Stangen im Schrittabstand quer zum Hufschlag. Dazwischen platziere ich im Abstand eines Viertelzirkels je eine Pylone mit drei bis vier Meter Abstand von der Zirkellinie nach innen versetzt. Die Aufgabe lautet nun für den Reiter, auf dem Zirkel im Schritt zu reiten. Es soll jeweils eine Volte mit gleichem Abstand um die Pylonen ausführen und zunächst auf der Zirkellinie über die Schritt-Stangen reiten, dort eine Volte auszuführen und ein zweites Mal die Schrittstangen zu passieren.

  • Pferd und Reiter müssen nun je Viertelzirkel ein ‚Aufgabe‘ bewältigen, was beider Aufmerksamkeit auf die gleiche, gemeinsam zu bewältigende Situation lenkt. Durch die regelmäßige Wiederholung bekommt das Pferd eine eigene Idee von Linienführung und bedarf weniger ‚lenkender‘ Einwirkung. Durch die mehr oder weniger stark gebogenen Linien beginnt das Pferd, sich mit jeder Runde besser zu biegen und auf der Außenseite mit der gesamten Muskulatur mehr und mehr loszulassen. Hinzu kommt, dass es in den Schrittstangen die Beine vermehrt heben und bei entsprechend passend bemessenen Abständen taxieren und das Schrittmaß bewusst bemessen muss. Diese Übungsreihe wird für ca. 20 bis 30 Minuten ausgeführt. Dabei wird jeweils nach ca. 5 Runden die Hand gewechselt.

  • Reiter oder Reiterin sollte dem Pferd dabei so viel Bewegungsfreiheit wie möglich bieten und mit den Zügeln nur eine leichte Führung anbieten. Anfänglich wird das Pferd wenig oder gar keine Biegung und dadurch auch keine Dehnungsbereitschaft zeigen. Auch werden Takt und Linienführung unregelmäßig sein. Solange das Pferd dabei im Schritt bleibt, nimmt man dies in Kauf. Sollte es allerdings antraben, so bleibt man bei Stangen oder Hütchen so lange im engen Voltenradius, bis es wieder Schritt geht. Die Devise lautet: nicht bremsen sondern lenken! Dabei ist es wichtig, dass Reiter oder Reiterin der Versuchung widerstreben, sich in die ‚Kurve zu legen, innen herunterzuschauen oder innen vermehrt zu belasten. Im Gegenteil, auch wenn es ungewohnt ist: sie verzichten auf annehmende Zügeleinwirkung, bleiben bewusst in der Sattelmitte und senken ihr Gewicht sogar senkrecht vermehrt in den äußeren Bügel ab. Dadurch wird das oft unbewusste „Lehnen“ nach vorn und innen eliminiert.

  • Das wird sich zunächst ungewohnt anfühlen, hat aber den Effekt, der Tendenz des Pferdes, das Gewicht auf die innere Schulter zu verlagern und zu eilen, entgegenzuwirken.

  • Sollte es nach 3 – 5 Volten immer noch nicht im Schritt sein, so kann man bei gleichbleibender Zügelführung der inneren Hand behutsam mit dem äußeren Zügel annehmend und nachgebend einwirken, bis es wieder in den Schritt übergeht. Dann sollten aber beider Zügel sofort kurz deutlich nachgegeben werden, bevor man wieder eine leichte Verbindung herstellt.

  • Die Wendungen/Bögen werden mit deutlich nachgebendem äußerem Zügel geritten. Das Pferd soll dadurch Gelegenheit bekommen, sich an den in der inneren Hand passiv festgestellten Zügel heranzudehnen. Der innere Schenkel sollte am Gurt mit leichtem Druck anliegen, während der äußere passiv bleibt und auf die ‚verwahrende‘ Wirkung zunächst verzichtet.

  • Nach einigen Wiederholungen wird das Pferd lernen, dass sein Antraben oder ‚Anzackleln‘ auf dem engen Radius unbequem und unnötig ist. Bei den Stangen muss es dann auch noch die Beine sortieren, um die Zwischenräume zu treffen, um nicht anzustoßen. Schritt gehen macht plötzlich Sinn für das Pferd. Da der Reiter oder Reiterin passiv und ruhig bleiben, wächst das Vertrauen in sie. Es erfährt ja sogar Hilfestellung, um in ein geregeltes Gehen zurückzufinden ohne das es zu gestört oder eingezwängt wird.


Diese Übungsreihen im Schritt können täglich für einige Zeit wiederholt und mit Lektionen in anderen Gangarten abgewechselt werden. Nach einigen Tagen wird die Zahl der Stangen auf vier erhöht und sie werden möglicherweise einseitig oder wechselseitig erhöht. Das veranlasst das Pferd, nicht nur genau zu taxieren, sondern auch noch mit deutlich vermehrter Muskeltätigkeit die Beine zu heben und den Takt dadurch bewusster zu finden. Dadurch wird das Pferd nun immer konstanter im Schritt und hält ihn auch auf der Zirkellinie. Nun ist es an der Zeit, die Übungen mit Pylone und Stangen auf den Hufschlag zu verlegen und von den geraden Linien auf die gebogenen der Volten und wieder zurück zu wechseln, ohne das der Schritt verlassen wird.


Danach bietet sich der Wechsel von Schritt, Trab und Schritt auf dem Zirkel und auf der ganzen Bahn mit diesen Übungen ab. Die Erfahrung zeigt, dass mit dieser eigentlich sehr simplen Übungsreihe in wenigen Wochen, manchmal schon nach wenigen Tagen, eine deutliche Verbesserung von Aufmerksamkeit, Bewegungskoordination, Gleichgewicht, Losgelassenheit, Balance und Takt beim Pferd erreicht wird. Entsprechend der Fortschritte kann man die Stangen und Pylone auch weglassen oder nur gelegentlich mit einsetzen. Als Ergebnis wird das Pferd unter seiner passiv sitzenden Reiterin oder seinem Reiter Gangart, Tempo und Takt auf gebogenen und geraden Linien im Schritt immer besser halten. Es ist nun bereit für die nächste Phase der Schrittarbeit.


Praxis-Tipp: so werden triebige Pferde fleißiger

Andere Reiter haben das Gefühl, ihr Pferd sei faul und trotz ständigen Treibens nicht genügend aktiv vorwärtszubekommen. Ohne massive Einwirkung gehe dann gar nichts mehr. Faulheit ist ein Begriff, den wir Menschen kennen, der einem Pferd allerdings fremd ist.


Die natürliche Gehfreude ist ihm verloren gegangen. Monoton pressende oder klopfende Schenkel-, Hacken- oder gar Sporeneinwirkungen haben das Pferd zwar ungewollt oder dennoch systematisch desensibilisiert. Es hat gelernt, diese Einwirkungen zu ignorieren und es hat verlernt, prinzipiell motiviert und energetisch oder impulsiv vorwärtszudenken und zu gehen, sobald der Reiter im Sattel ist.


Um diesen ‚Teufelskreis‘ der Abstumpfung bzw. unbeabsichtigten Desensibilisierung zu durchbrechen, werden zunächst nicht die reiterlichen‚ treibenden ‚Hilfen‘ in den Vordergrund gestellt, sondern man geht in die Thematik der ‚Remonteschule‘ bzw. Anreitphase zurück. Der Schwerpunkt wird auf die Erziehung des Pferdes zum fleißigen Gehen unter dem Reiter gelegt. Dabei ist der Grundsatz zu beachten, das aktivierende Einwirkungen nicht durch gleichzeitig verhaltenden, gar rückwärts wirkende neutralisiert werden dürfen.

Dazu bedient man sich einer Dressurgerte als ‚Reizverstärker‘. Ziel ist es, bei passiv sitzendem Reiter und nachgebenden Zügeln das Pferd durch abgestufte touchierende Berührungsreize oder Impulse mit der Gerte zum länger anhaltenden raumgreifenden Schreiten zu animieren, bis es in fleißigerem Schritt bleibt, ohne ständig neu angetrieben werden zu müssen.


Fleiß ist eine Frage der Erziehung – so geht's:


Das Pferd wird im Schritt mit leicht und gleichmäßig Kontakt haltender Zügelverbindung (weiche, passive Anlehnung) oder sogar am losen Zügel geritten. Es soll dabei eine seinem Körperbau und Ausbildungsstand entsprechen Hals-Kopf-Haltung mit entsprechender Pendelmöglichkeit haben. Bei dieser Übung darf keinesfalls versucht werden, durch aktive Zügeleinwirkung eine bestimmte Kopf-Hals-Haltung zu erzwingen. Eine zirka 1,20 m lange, weich federnde Gerte wird locker in der inneren Hand gehalten.

  • Damit die Gertenhand nicht verkrampft, hält man die Gerte so, dass der Griff etwa 10 bis 15 cm oben aus der leicht geschlossenen Zügelfaust herausragt und zwischen Daumenbasis und Handrücken leicht eingeklemmt wird. Im Idealfall soll bei gleichbleibender Zügelführung die Gerte dann über den Oberschenkel hinter der Wade dosiert touchierend eingesetzt werden (hintere Führung). Da das aber in der Praxis je nach Körperproportionen von Reiter*innen und Pferd nicht immer gelingt, biete ich für diese Übung die Alternative an, die Gerte senkrecht herunterhängend an der Pferdeschulter einzusetzen (vordere Führung). Das gelingt in der Regel sehr viel kontrollierter und störungsfreier.

Die Gerte wird generell in den folgenden Aktionsmustern eingesetzt:

  • Passiv: sie hängt in der vorderen Führung aus der locker geschlossenen Zügelhand herunter oder liegt in horizontaler Ausrichtung ruhig auf dem Oberschenkel. In einer dieser Positionen verbleibt sie stets, wenn das Pferd fleißig geht.

  • Kontaktaufnahme: Vor dem aktiven Einsatz wird die Kontaktaufnahme bewusst vorgeschaltet. Dazu wird die Gerte behutsam mit leichtem Kontaktdruck an der Pferdeschulter oder hinter der Wade am Rumpf angelegt und bleibt für ein bis drei Sekunden angelegt. Dies dient der Ankündigung einer folgenden aktiven Einwirkung und soll die Aufmerksamkeit des Pferdes bewirken und ihm Reaktionszeit gewähren, ohne es zu erschrecken. Wichtig: es soll dabei zu keiner Reflexbewegung kommen. Weder soll das Pferd jetzt schon schneller werden noch soll es zusammenzucken oder eine Gegenreaktion zeigen. Zeigt es eine dieser Reaktionen, so wird die Gerte nicht weggenommen, sondern bleibt noch angelegt, bis es keine Reaktion mehr zeigt. Erst dann wird sie wieder weggenommen. Diese Form der Kontaktaufnahme wird so lange wiederholt, bis das Pferd sie ohne Reflexreaktion duldet.

  • Aktive Reizsetzung: Das Gertenende wird bei gleichbleibender Zügelführung aus der angelegten Position langsam auf einen Abstand von etwa 20 cm genommen und behutsam tuschieren mit einer kurzen aber weich federnden Bewegung wieder an den Pferdekörper geführt. Dies wird dreimal in kurzen Intervallen ausgeführt etwa wie: tipp-tipp-tipp.

  • Wenn das Pferd daraufhin etwas aktiver wird, so ist das der erwünschte Effekt und die Gerte kommt wieder in die passive Position. Dabei kann es entweder etwas eiliger werden oder schon raumgreifender gehen, beides ist in Ordnung. Sobald es wieder langsamer wird oder schleppender geht, wird der Vorgang wiederholt.

  • Sollte das Pferd trotz dieser Impulsserie nicht die gewünschte Fleißreaktion zeigen, so bedarf es einer angemessenen Reizverstärkung. Dazu wird die Gerte mit etwas mehr seitlichem Abstand nun dreimal etwas stärker tuschierend eingesetzt, etwa: tapp-tapp-tapp

  • Bei positiver Reaktion wird die Gerte wieder passiv gehalten, bei Ignoranz wird der Vorgang in einer dritten wieder etwas verstärkten Intensitätsstufe ruhig, aber bestimmt wiederholt. etwa: patsch-patsch-patsch.

  • Reagiert das Pferd, so wird sofort die passive Gertenhaltung wieder hergestellt.

Alle Pferde haben zwar bezüglich Ihrer taktilen Wahrnehmung eine ähnliche Empfindsamkeit, schließlich fühlt jedes, wenn sich eine Fliege auf das Fell setzt. Bezüglich der Reaktionsform auf die Sinneswahrnehmung bzw. Reize gibt es aber individuell sehr große Unterschiede. Die Dosierung und Wiederholungshäufigkeit dieser systematischen Reizverstärkung ergeben sich in jedem Einzelfall erst in der praktischen Anwendung.
  • Anfänglich wird die fleißigere Gangsequenz nur eine kurze Zeit anhalten. Sinkt das Pferd dann wieder unter die ‚gedachte Fleißgrenze‘ ab¸ so wird zunächst die Kontaktaufnahme und dann die Serie touchierender aktiver Einwirkungen je nach Notwendigkeit mit ‚fein‘ beginnend in den Abstufungen ‚deutlich‘ oder ‚energisch‘ verstärkend angewendet.

Nach einigen Wiederholung wird man das Gefühl für die richtige Dosierung, das Timing und die individuelle und situationsabhängige Anwendung dieser ‚Fleißübung‘ verinnerlicht haben. Wichtig ist dabei, locker, freundlich, aber bestimmt zu handeln. Bei geländesicheren Pferden kann diese Übungsreihe bei Ausritten sehr gut angewendet werden. Im Gelände ist das fleißige Vorwärtsgehen für das Pferd auch sehr viel sinngebender als in der Reitbahn Runde um Runde. Das Pferd wird bald den nötigen Respekt der Forderung nach mehr Fleiß gegenüber entwickeln, ohne das Vertrauen in den Reiter zu verlieren.


Schon nach ein bis zwei Wochen wird es immer seltener mit immer feineren Gertenimpulsen zum fleißigeren und raumgreifenderen Gehen motivierter werden können. Damit es diese Fleißbereitschaft nicht nur zeigt, wenn der Reiter mit Gerte reitet, wird die nach einiger Zeit zwischenzeitlich auf der Bande griffbereit abgelegt und im Bedarfsfall ohne Unterbrechung der Vorwärtsbewegung unauffällig aufgenommen, eingesetzt und wieder abgelegt.


In diesen ersten Stufen des Schritttrainings hat das Pferd wieder gelernt, einen zwanglosen, regelmäßigen und aktiven Schritt am leichten Zügelkontakt anzubieten und beizubehalten, wie es eine junge Remonte unter einem einfühlsamen Reiter zeigen würde. Es ist motivierter und williger neigt nicht mehr zu Überreaktionen. Es ist nun für eine feine abgestimmte Hilfengebung wieder empfänglich und durchlässiger geworden.

Text © Peter Kreinberg


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